Lehrer sind auch nur Menschen. Und nicht jeder trifft sich abends mit Kolleginnen abwechselnd zum Nordic Walking oder zum Fortgeschrittenenkurs in Seidenmalerei. Ich denke ich bin das Kuckucksei im Lehrerzimmer. Etwa wie ein Veganer, der ausversehen Metzger geworden ist oder ein Pilot mit Höhenangst. Oder wie eine Franzi van Almsick, die immer wieder vom Schwebebalken fällt weil sie noch nie jemand ins Wasser geschubst hat.

Mittwoch, 12. Juli 2017

Inklusion beginnt beim Frühstück: Gebt den Haferflocken eine Stimme



In einem anderen Blogartikel lernten die Leser bereits eine Menge über die Schattenseite des Ferienmysteriums. Ich vergaß dabei zu erwähnen, dass der gemeine Lehrer bereits in der dritten Woche sozialer Isolation zu Wahnsinn neigt. 
Es heißt immer man soll auf seinen Bauch hören. Ich sage: Hört auf die Lebensmittel. Sie haben kein SocialMedia...

Ich hatte heute Morgen ein langes und sehr intensives Gespräch mit den Haferflocken. Sie vermissen die Milch. Von ihr wurden sie immer akzeptiert und sind gerne ins Müsli gegangen. Dort haben sie sich prima mit den Leinsamen verstanden und hatten eine richtig gute Zeit. 

Nun ist es noch nicht lange her, da kam Unruhe ins Müsli. Amaranth, Chia und Quinoa waren neu hier und plötzlich die Stars in der Schüssel. Acai und Aronia kamen auch noch dazu. Aber statt einem friedlichen Miteinander gab es nur Stress. Die Haferflocken fühlten sich gemobbt. Die Neuen im Müsli behaupteten, das olle Getreide wäre nicht cool genug. Die Himbeeren wurden sauer, nicht zuletzt weil ihrem Kumpel,dem Apfel plötzlich vorgeworfen wurde, er hätte zu viel Zucker und wäre viel zu weltlich. 

Alles zusammenhalten sollte der Sojadrink, so war zumindest die Hoffnung all der alteingesessenen und neu dazugekommenen Cerealien in der Schüssel, als sie frisch ihren Dienst antrat. Tatsächlich schaute sie aber nur tatenlos zu, wie sich Unmut breit machte und Antipathien entstanden. 

Die Haferflocken meinten im Vertrauen zu mir: „War doch klar, dass die das nicht schafft. Viel Lärm um nichts. Tut so als wäre sie was großes, tatsächlich ist sie doch nur weißes Wasser, neben dem irgendwann mal Soja lag.“ 

Da war nun also dieses Wasser, dass sich erhoffte von der legendären Sojakraft zu profitieren. Doch irgendwann fliegt jeder Etikettenschwindel auf. Der Schüsselinhalt war kurz vor der Eskalation und so weigerten sich an diesem Morgen die Haferflocken vehement ins Müsli zu gehen...

"Nein, wir machen das nicht mehr mit. Amaranth und Chia denken ständig, sie sind die Geilsten. Der Leinsamen steht zwischen den Stühlen und der Apfel hat schon längst aufgegeben. Von dieser Soja-Lusche kommt NULL – wir sagen NULL SUPPORT. Vergiss es. Da bleiben wir lieber in dieser dunklen Blechdose und warten darauf, dass uns jemand zu Zucker und Butter bringt.*trotzig* Urlaub im Backofen mit denen war damals ziemlich geil. Man kommt knackig und braun wieder."

"Hallo? Das könnt ihr nicht so einfach machen. Ihr seid Haferflocken. Ihr habt Müslipflicht."

"Einen Scheiß haben wir." *sehrtrotzig*

"Sagt mal wie redet ihr eigentlich mit mir?"

"Wie wir mit dir reden? Ist dir das zu ordinär oder was? Stehst du jetzt auf das schnöselige Hauptstadt-Hipster-Gehabe von diesen Amaranth-Deppen? Wir waren früher mal deine Frühstücks-Buddies. Du wärst nie drauf gekommen unseren Slang, übrigens unser GEMEINSAMER Slang, zu kritisieren. Hattest du zu viel Superfood *äffendenschnöseltonfallnach*, oder was?"

"Jetzt macht aber mal halblang. Ich steh zu euch. Wenn ich das nicht tun würde, hätte ich euch längst durch Buchweizen oder Dinkel ersetzt." (provozieren kann ICH auch)

Püh.*sehrbeleidigterunterton*

Langes Schweigen.

"Weißt du noch: damals bei deiner Oma, da haben wir uns kennengelernt. Da waren wir total oft im Backofen-Urlaub. Und wenn‘s mal nicht für den Urlaub gereicht hat, dann hatten wir zumindest mit Zucker und Milch richtig richtig geile Frühstückspartys. Erinnerst du dich. DAS waren noch Zeiten…." (die Haferflocken klingen jetzt sehr wehmütig).

"Na klar war das schön damals. Aber Zeiten ändern sich eben. Die Menschen schreiben auch nicht mehr auf Schiefertafeln oder treiben ihre Maschinen mit Dampf an. Man muss sich weiterentwickeln. Ich muss das. Und Haferflocken müssen das eben auch."

"Hm." *kurzunduneinsichtig*

Sehr sehr lange Pause.

"Weißt du, wir kennen dich schon echt lange. Du warst noch nie jemand, der jedem Trend hinterher gerannt ist und wenn, dann hast du dir das rausgesucht, was dir gefällt. Was bist du jetzt, ein erbärmlicher Mitläufer? Is doch scheißegal, was alle Welt von Milch hält. Dieses Sojadrinkdings ist eine Lusche und an diesem ganzen Zoff im Müsli erst schuld. Warum? Jetzt kuck nicht so doof. Wir sagen dir warum: Dieser Spinner hat von Frühstück keine, nicht die geringste Ahnung! Er hat sich NIE, NIE, NIE darum bemüht uns mit den anderen zusammenzubringen. Diese Hipster-Cerealien hätten mal in ihre Schranken gewiesen werden müssen. Die Aufgabe der Flüssigkomponente im Müsli ist es doch, allen in der Schüssel ihren Rang zuzuweisen. Aber nichts von alle dem ist passiert. Er kam einfach und hat sich feiern lassen für das, was er ist. (kurze Pause) Oder gerne wäre. Here I am." (in Schnöselsprache) 

*verächtlichesschnaufen*

Ich schweige lange. Die Haferflocken auch.

"Die Milch hätte den Job besser hinbekommen, glaub uns."

"Aber die Milch? Ich weiß nicht. Hat die überhaupt ein Feeling für diesen überheblichen Amaranth? Die stammen aus völlig verschiedenen Frühstücksgesellschaften." *nachdenklich*


"Versuchs doch einfach mal. Was soll denn schon schief gehen?"

Hm.

"Jetzt hab dich nicht so. Wir für unseren Teil gehen jedenfalls erst wieder in die Schüssel wenn die Milch den Job wieder macht. Soja soll sich verpissen. Der kann NICHTS. Die Leinsamen sehen das übrigens genauso. Oder Leinsamen?" (rufen in Richtung Tüte)

Äh naja, mit Milch war es schon irgendwie cooler… *unsicher* (aus der Tüte)

"Siehst du, da hast du’s. Die Leinsamen sind zwar Muschis und wollen sich’s mit niemand verkacken aber im Inneren denken sie genauso wie wir. *kämpferischer*

Soo-jaa muss weg. Soo-jaa muss WEG. SOO-JAAA MUSS WEG." (entschlossenes Rufen)

"Schon gut, schon gut. Wenn der Tetrapack leer ist, okay?"

"Vergiss es. Dann kannst du die nächsten Tage ohne uns frühstücken. Und wer weiß, vielleicht sind wir im Urlaub wenn du uns dann wieder brauchst!?"

"Booooaaar, von mir aus. Bitte. Ab sofort wieder Milch." (rollt mit den Augen)

"Geht doch." (kumpeln mit dem Milchkaffee ab)

Vielleicht gönne ich den Haferflocken später zur Entschädigung noch einen Urlaub, denke ich, spreche es aber nicht laut aus. Dieses rebellische Getreide soll nicht denken, es hätte mich in der Hand.


Was sagt uns dieses spannungsgeladene Gespräch unter langjährigen Frühstücksbuddies? Erstens: Soja-„Milch“, nein halt, das darf man zu Recht nicht mehr sagen, also Sojadrink, das klingt so ekelhaft hip, also dieses Sojazeug ist mies.
Zweitens: Inklusion KANN funktionieren. Unter den richtigen Rahmenbedingungen. Im Dialog mit den Beteiligten. Und nur wenn man sowohl das Bewährte respektiert als auch Neues ausprobiert.

Drittens: Haferflocken haben einen ziemlich starken Willen, die besseren Argumente und einen langen Atem.

In diesem Sinne: guten Appetit.

(Ich danke allen kommentierenden Facebook-Followern für die Inspiration. Ihr seid die Besten.)
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Mittwoch, 5. Juli 2017

Frau Müllers Flohmarkt der Gefühle - Blogparade: Schreib-Katharsis für ALLE



Es sind Ferien und das Hirn macht 137 Updates. Bitte unterbrechen sie die Stromzufuhr nicht. Dennoch soll der 50. Blogeintrag etwas Besonderes sein. Sehr viel Output gibt es heute nicht, dafür aber Hilfe zur Selbsthilfe...
 
Es ist tatsächlich ein bisschen wie Ebay. Etwas, das man nicht mehr braucht oder sogar dringend loswerden will, nimmt ein anderer sehr gerne und hat womöglich auch noch viel Freude damit. Ebay für Emotionen. Besonders aus den Feedbacks zu Artikeln, in denen ich mich über irgendetwas auskotze, lese ich nicht selten viel Dankbarkeit heraus. „Ich habe mich köstlich amüsiert“, „Zum Totlachen“ und vor allem viel Wiedererkennungswert im eigenen Gefühlsleben. Also meine Inneneinrichtung ist gut mit eurem Interieur kombinierbar. Wie schön, dass euch Gefühle, die ich loswerden wollte, so viel Freude bereiten. Nicht selten wird ein kleiner netter Austausch daraus, von dem man dann als Gefühls-Anbieter auch noch etwas hat. Genau wie bei Flohmärkten und Kleinanzeigen.
 
Eine Bekannte, die über die Pathogenese meiner wechselnden Gefühlszustände rudimentär Bescheid wusste - oder kurz, bei der ich mich ab und zu smalltalkmäßig ausgekotzt hatte -  sagte, als der Blog gerade seine ersten Atemzüge getan hatte, einmal zu mir: „Jetzt hast du deine Therapie gefunden!“ 
Und auch eine psychotherapieerfahrene Kollegin gab mir in einer schwierigen Phase schon einmal den Rat ‚alles aufzuschreiben‘, wobei sie ihren eigenen Therapeuten zitierte. 
Valide Nachweise zur Wirksamkeit dieser „Therapieform“ kann ich euch an dieser Stelle nicht bieten und gewohnheitsmäßig verweigere ich auch die Recherche. Vielleicht ergänzt das die Schwarmintelligenz in den Kommentaren.

Ich kann aber sagen, dass das sich dem Ende nähernde Schuljahr, in welchem ich zu bloggen begann, das Erste ist, in dem ich KEINEN kopfbedingten Krankenschein benötigte.
Wie auch immer. Lange Rede – kurzer Sinn. Ich möchte mit euch einen Flohmarkt veranstalten und euch die Möglichkeit geben, eure Gefühle erstens loszuwerden und zweitens im günstigsten Falle noch in irgendwas Positives umzuwandeln.


Was müsst ihr dafür tun? 
Möglichkeit 1: Im Sinne einer Blogparade veröffentlicht ihr den Artikel zum Gefühlsflohmarkt bei euch auf dem Blog und ich stelle euren Post hier im Lehrerzimmer vor. Selbstredend gegenseitig verlinkt im Sinne der Vernetzung. Wuuuuh. Ich hab die bösen Blogger-Wörter in die Tasten getippt.
Möglichkeit 2: Ihr habt keinen Blog aber was loszuwerden? Kein Problem. Schickt mir eure fertig im Text verpackten Gefühle per Mail an lehrerzimmer@outlook.com und ich mach einen „Gefühls-Flohmarkt-Artikel“ hier für den Blog draus. Ihr dürft dabei gerne anonym bleiben, müsst ihr aber nicht. 
 
Erlaubt ist alles was raus muss. Allen voran der Job. Hey, nur weil man sich vielleicht eine Arbeit ausgesucht hat, muss das nicht heißen, dass man nichts daran scheiße finden darf. Nerven euch Chefs, Kunden, Kinder, Eltern, Kollegen oder wer auch immer? Dann her damit, wir lesen euch zu. Euch gehen Menschen allgemein oder Teile unserer Gesellschaft auf den Geist? Dann bitte. Rassistisches oder homophobes Zeug lasst ihr aber bitte stecken.

Ein offenes Ohr bzw. Auge haben wir auch für bescheuerte Expartner und Schwiegermütter, Personalchefs, Beamte, Nachbarn oder oder oder. Probiert es aus und erlebt die heilende Wirkung des „Gefühle einfach rausschreiBens“.

Viel mehr hab ich heute dann gar nicht zu sagen. Ich gebe der Aktion Frau Müllers Flohmarkt der Gefühle keinen Zeitraum, sie läuft neben her und ich hoffe natürlich auf die ein oder andere emotionsgeladene Beteiligung. Rege Teilnahme trau ich mich nicht zu schreiben, da die Reaktionen auf solche Aufrufe meistens sehr überschaubar sind.

Ich schließe heute mit ein paar Auszügen aus meinen in den Gefühlskleinanzeigen angebotenen Artikeln und den Links dazu. Sozusagen zur Inspiration…

„(…)Ich hasse Facebook. Ich hasse es wenn Herr Müller morgens nach dem Aufwachen bei geschlossenem Rollladen vor dem Fenster zu mir sagt: „Schatz, es hat geschneit!“ – er weiß es von Facebook. Verdammt, was bringt Menschen dazu morgens nach dem Aufwachen die Großwetterlage zu posten?(…)“ 

„(…) Ich träume die Szene anders: auf dem Billigflug nach Palma dutzt der neunjährige Kevin die Stewardess, besteht auf die Trovatos im Bordfernsehen, protestiert 45 Minuten lautstark weil es kein Bordfernsehen gibt und spült seine Schuhe aus Protest die Bordtoilette runter. Die Stewardess ruft: „Ein Lehrer. Ist hier ein Lehrer an Board?“ Ich mache mich ganz klein in meinem Sitz, halte meinen ausgestreckten Zeigefinger vertikal vor meine gespitzten Lippen und schaue meine Kinder drohend mit aufgerissenen Augen an. Dann wache ich schweißgebadet auf. (…)“ 


„(…) Sollen wir ernsthaft ein schlechtes Gewissen wegen unserer Arbeitszeiten haben gegenüber Eltern, die vormittags genug Zeit haben Anzeige gegen Sechstklässler wegen harmloser Rangeleien auf dem Schulhof zu erstatten, uns in verdienten Pausen auflauern um uns zu einem ungeplanten Gespräch wegen Belanglosigkeiten zu nötigen oder die zu bequem sind, bei einem Unfall ihres Kindes mit dem Bus in die Schule zu fahren weil alle anderen arbeitslosen Freunde mit Auto ohne TÜV wohl gerade einen Pflichttermin beim Arbeitsamt wahrnehmen? Ich denke nicht. (…)“ 

„(…) Weitere fünf Minuten später – die Tür öffnet sich erneut. Kollege M.: „Weißt du wo Pflaster sind?“ Ich: „Äh, ja, da – im Verbandskasten!“ M. wirkt etwas gestresster und verlässt mit dem Pflaster den Raum. Diesmal nicht ganz fünf Minuten später öffnet sich die Tür ein letztes Mal. M.: „Ich brauch mal mehr als Pflaster!“ – „Ja, im Verbandskasten…“ Bei der Erstversorgung der Wunde eilt ihm dann schließlich noch der unterrichtende Kollege der dritten Werkgruppe zu Hilfe. Mittlerweile ist der Schülerfinger, nachdem er später noch fachmännisch notfallmedizinisch versorgt wurde, gut verheilt. Keine bleibenden Schäden. In diesem Fall.(…)“ 

„(…) Da ich hier aber nun mal nicht in der Schule sondern in MEINEM Lehrerzimmer bin MUSS ICH GAR NICHTS. Und wisst ihr was noch besser ist? IHR MÜSST AUCH NICHTS. Ihr dürft kommen wann ihr wollt und lesen was ihr wollt und ich schreibe WAS ICH WILL. Hört sich doch traumhaft an, oder?! Im günstigsten Falle finden wir sogar gelegentlich einen gemeinsamen Nenner… JACKPOT.(…)"

„(…) Nur eins will ich damit sagen: Mütter, zieht euch endlich den Stock aus dem Arsch! (…)“ 

Mit diesen bedeutungsschwangeren Worten möchte ich heute schließen. Nächste Woche gibt's wie gewohnt einen neuen Blogartikel - unabhängig vom Flohmarkt. Vom Niveau her wird sich dieser rund um die Grenze zwischen Schlaf und Wachzustand bewegen, also seicht. Für die Eindämmung eurer wissenschaftlich übrigens nachgewiesenen Ferien- bzw. Urlaubsverblödung bin ich nicht verantwortlich. Ich hab da mit mir selbst zu tun. Löst doch ein paar Sudokus, hab gehört das soll helfen. Oder nehmt einfach an meinem Flohmarkt teil. Das ist Psychohygiene at it's best. 

Wem bis dahin ganz fürchterlich langweilig ist,
 dem rate ich in der Lehrerzimmeraußenstelle 
Dort tue ich in unregelmäßigen Abständen 
nichts gegen Verblödung. Aber gegen Langeweile.